Gottardo Segantini 1882-1974

Gottardo Segantini knüpft seinen liegenden Frauenakt motivisch an eine Jahrhunderte währende Tradition der Venus-Darstellung an. Von Giorgione rührt die Pose, von Tizian der zweiteilige Hintergrund mit Draperie und Blick aus dem Palast in die südländische Ferne, von Goya die Körperhaltung und von Canova der Apfel in der linken Hand der Liebesgöttin. Als ungewöhnlich darf die Verbindung dieses Genres des liegenden Aktes mit dem Motiv der Spiegel-Betrachtung bezeichnet werden. Denn das Spiegel-Attribut ist als Vanitassymbol tradiert und ruft die irdische Vergänglichkeit weiblicher Schönheit in Erinnerung, was die Venus eterna ihrerseits allerdings nicht zu befürchten hat. Interessant ist hier ausserdem die auf der Rückseite des Handspiegels auszumachende Darstellung der Minerva, ihres Zeichens Göttin des Wissens, der Strategie und des klugen Kalküls. In Bezug auf den Apfel wäre die angedeutete Minerva vielleicht als Hinweis auf die mythologische Venus vintrix zu verstehen, sprich auf das berühmte Urteil des Paris, was dem Gemälde Gottardos eine weitere mythologische Bedeutungsebene erschlösse.